Denzlingen in der Zeit des Nationalsozialismus
Opfer – Täter – Widerstände
Anna Bassinger, geborene Reitzel, die Tochter des damaligen „Hirschen“-Wirts, wurde 1935 wegen ihres Bekenntnisses zu den Zeugen Jehovas verhaftet. Als sie sich nach Verbüßung einer Gefängnisstrafe weiterhin weigerte, diese Glaubensgemeinschaft aufzugeben, wurde sie 1940 in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert und am 8. Mai 1942 in der Gaskammer in Bernburg/Saale ermordet.
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Anna Bassinger
wurde am 11. Oktober 1891 als Tochter des „Hirschen“-Wirts Carl Reitzel und seiner Ehefrau Wilhelmine geboren. Im Alter von 19 Jahren heiratete sie am 4. Mai 1911 in Denzlingen den Eisenbahninspektor Otto Bassinger. Dieser wurde Anfang der 1920er Jahre an den Bahnhof St. Georgen/Schwarzwald versetzt; seine Frau und die Kinder zogen mit. Dort kam die Familie 1922 mit den „Zeugen Jehovas“ in Kontakt, die damals noch „Bibelforscher“ hießen. 1923 wurde Anna selbst eine Zeugin Jehovas. Schon ein Jahr später, am 18. November 1924, starb Otto Bassinger.
Umzug nach Thüringen
1930 zog Anna mit ihrem Sohn Heinz und ihrer Tochter Anneliese nach Gera und verlobte sich dort mit Erich Conrad, einem aus Schlesien stammenden Schriftsetzer, der bei der Zeitung „Geraer Nachrichten“ arbeitete. Sie wohnte in Gera in der Reinhold-Straße 3, wo heute ein „Stolperstein“ an Anna Bassinger erinnert.
Stolperstein in Gera, Reinhold-Straße 3,
verlegt am 9.12.2013
Erich Conrad, ebenfalls Zeuge Jehovas, wohnte in der Debschwitzer Straße. Zur Heirat kam es nicht mehr, weil der Verlobte, wie viele andere „Bibelforscher“ auch, von den Nationalsozialisten verfolgt und verhaftet wurde. Tochter Anneliese, ebenfalls Zeugin Jehovas, erlitt die gleichen Repressalien. Sie heiratete 1937 in Gera.
Im Jahre 1935 wurde Anna Bassinger erstmals in Untersuchungshaft genommen, weil sie sich trotz des nationalsozialistischen Verbots nicht von ihrer Glaubensgemeinschaft lossagen wollte.
1937 erfolgte eine erneute Verhaftung und die Einlieferung in das Gerichtsgefängnis Gera. Die Anklage lautete formal: „Strafsache wegen Vergehens gegen §§ 1 und 4 der Notverordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat.“ Gemäß diesen Paragraphen wurden verbotene religiöse Gruppierungen, Gewerkschaftsmitglieder oder Mitglieder von Parteien, die den Nationalsozialismus ablehnten, verfolgt und in sogenannte Schutzhaft genommen, die oft in den Konzentrationslagern endete.
Am 22. und 23. Juni 1938 kam es zu einer großen Verhandlung des Sondergerichts Weimar unter der Leitung des Landgerichtsdirektors Werther in Gera, bei der neun Angeklagte, unter ihnen auch Anna Bassinger und ihr Verlobter Erich Conrad, zu Haftstrafen verurteilt wurden.
Anna Bassinger
(Ende August 1929, kurz vor der
Umsiedelung nach Gera)
Ins Konzentrationslager
Anna Bassinger wurde zu zweieinhalb Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, die sie in Leipzig-Kleinmeusdorf in einem Frauengefängnis verbrachte.
Ihr Verlobter wurde zu vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und in die Haftanstalt Ichtershausen gebracht. Über Briefe versuchten die Beiden den Kontakt aufrecht zu erhalten.
Kurz vor Ablauf ihrer Haftstrafe schrieb Anna an ihren „lieben Erich“ am 12. Mai 1940 einen liebevollen Brief, der Erich Conrad aber nicht ausgeliefert wurde. Darin erzählte sie von einem Besuch ihrer Tochter Anneliese mit ihrer kleinen Enkelin, die sie im Gefängnis besuchen durften. Die kleine Roselore sei auf ihrem Arm sogar eingeschlafen. Sie freue sich sehr auf die bevorstehende Freiheit.
Da Anna Bassinger sich aber weiterhin standhaft weigerte, sich von ihrer Glaubensgemeinschaft loszusagen, wurde sie nach Abbüßung der Strafe am 23. Mai 1940 nicht entlassen, sondern im September 1940 in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. In den Lagerakten ist als Haftgrund „Bibelforscher“ vermerkt. Innerhalb von sechs Jahren wurden in Ravensbrück mehr als 132.000 Frauen aus 40 Nationen gefangen gehalten, von denen 20.000-30.000 in diesem KZ ermordet wurden.
Annas Sohn Heinz, inzwischen Offizier der Wehrmacht, bemühte sich vergebens um die Freilassung seiner Mutter. Er fiel später im Krieg gegen die Sowjetunion auf der Halbinsel Krim. Im Konzentrationslager wurde Anna Bassinger einer Arbeitsgruppe zugeteilt, die schwerste körperliche Arbeit bei jeder Witterung zu leisten hatte. Als sie bei einem Appell bewusstlos zusammenbrach, soll das Wachpersonal abgerichtete Hunde auf sie gehetzt haben, um sie zum Aufstehen zu zwingen. Aber sie war nicht mehr in der Lage aufzustehen, und so fielen die Hunde über sie her und verletzten sie schwer.
Ermordung
Nach diesem Vorfall war sie nicht mehr arbeitsfähig. Wer aber nicht arbeitsfähig war, wurde im Rahmen der Euthanasieaktion 14f13 „entsorgt“: Am 8. Mai 1942 ist Anna Bassinger in der Gaskammer in Bernburg an der Saale ermordet worden. Ihr Name ist im „Gedenkbuch für die Opfer des Konzentrationslagers Ravensbrück 1939-1945“ eingetragen. Die Tochter Anneliese Bassinger erhielt die damals übliche Nachricht des Standortarztes, dass ihre Mutter auf Grund von Magen- und Leibbeschwerden sowie Durchfall mehrfach in Behandlung des Krankenhauses gewesen und schließlich nach Magenbluten an Herz- und Kreislaufschwäche gestorben sei. Da man der Tochter mitteilte, die Asche der Toten werde nur einige Tage aufbewahrt, machte sie sich mit ihrem Mann, Willi Winkler, auf den damals beschwerlichen Weg nach Ravensbrück. Bei ihrer Ankunft teilte ihnen das Wachpersonal mit, die Urne mit der Asche der Mutter könne ihnen nicht mehr gezeigt werden. Auf die Bitte der Tochter, die mitgebrachten Blumen zur Urne legen zu dürfen, nahm das Wachpersonal diese entgegen, soll sie aber dann in den Abfallkorb geworfen haben. Später gelangte eine Urne mit Asche (von Anna Bassinger?) nach Denzlingen und wurde im Grab ihrer Mutter Wilhelmine Reitzel beigesetzt.
Erich Conrad, Annas Verlobter, überlebte die NS-Zeit und starb in den 1970er Jahren.
Quellen- und Literaturangaben / CopyrightsUnterm Hakenkreuz. Terror, Verfolgung und Widerstand in Gera, hg. vom Verein Gedenkstätte Amthordurchgang (Gera 2008/2009) S. 120Zum Konzentrationslager Ravensbrück: www.ravensbrueck.de/mgr/neuEvangelische Kirchenbücher Denzlingen, Geburts- u. Taufbuch 1891Stolperstein zum Gedenken an Anna Sophie Bassinger, geb. Reitzel (Manuskript der Rede bei der Verlegung des Stolpersteins für A. Bassinger am 7.12.2013 in Gera, Reinholdstr. 3)Markus Zimmermann-Dürkop, Von Denzlingen ins KZ (Artikel in: Der Sonntag. Ausgabe Nördlicher Breisgau, vom 08.05.2005, S. 4)Katja Schmidtke, Schicksale im Straßenpflaster (Artikel in der "Thüringer Landeszeitung", Ausgabe Gera, vom 9.12.2013)Foto Stolperstein: Matthias Weibrecht, GeraFotos von Anna Bassinger aus dem Besitz von
Liesel Friedrich, DenzlingenDieter Geuenich - Dieter Ohmberger, Denzlingen,
Band 2: Vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges (1618-1948) (Denzlingen 2009),
S. 122 f.Sarah Helm, Ohne Haar und Namen: Im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück (Darmstadt 2016)
Diese Tafel wurde finanziert von
Denzlinger Bürgern
Denzlingen in der Zeit des Nationalsozialismus
Opfer – Täter – Widerstände
Während bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 im Deutschen Reich auf die NSDAP 43,9 % entfielen (Baden 45,8 %), erreichte die Partei Adolf Hitlers in Denzlingen 59,7 % der Wählerstimmen (743 von 1.491 Wahlberechtigten). Die Begeisterung für den „Führer“ war in unserem traditionell evangelisch geprägten Ort weitaus größer als beispielweise im katholischen Freiburg (NSDAP: 35,8 %). Die Deutsche Zentrumspartei, die in Freiburg 29,4 % der Stimmen erhielt, kam in Denzlingen nur auf 14,3 %, gefolgt von den Kommunisten mit 12,7 % (Freiburg: 14,2 %).
> Detailierte Informationen zur Reichstagswahl
als PDF
Den 18 namentlich bekannten NSDAP-Mitgliedern (Denzlingen, Band 2, S. 107) schlossen sich 1933 weitere 48 Denzlinger an. 1937 stieg die Zahl der Parteimitglieder im Ort auf 147, und 1942 zählte die Denzlinger Ortsgruppe 239 Personen, unter ihnen auch Pfarrer Hermann Leser und der Kirchen-Organist und Chorleiter Schäfer. Ortsgruppenleiter war bis 1938 der ehemalige Sozialdemokrat und Lehrer a. D. Wilhelm Meier.
Schon bald nach der Reichstagswahl gehörten dem Gemeinderat nur noch NSDAP-Mitglieder an; geleitet wurde er zunächst kommissarisch, dann – nach dem erzwungenen Rücktritt des sozialdemokratischen Bürgermeisters Karl Leimenstoll (1885-1947) – von dem ehemaligen Lehrer Wilhelm Meier. Die ersten Beschlüsse des „gleichgeschalteten“ Gemeinderats waren am 19. Juni 1933 zwei Umbenennungen und die Ernennung eines Ehrenbürgers:
- Die Hauptstraße wurde zur „Adolf-Hitler-Straße“ (Die Hindenburg-Straße gab es bereits seit 1916).
- Dem Platz zwischen der Schule, der Georgskirche und dem Rathaus gab man offiziell den Namen „Robert-Wagner-Platz“ (Robert Wagner war NSDAP-Gauleiter und Reichstatthalter von Baden.1946 wurde er von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet).
- Dem Emmendinger NSDAP-Kreisleiter Dr. Theophil Rehm wurde auf Vorschlag von Wilhelm Meier die Ehrenbürgerwürde verliehen – eine Auszeichnung, mit der zuvor (1900 und 1911) nur zwei verdiente Denzlinger Bürger ausgezeichnet worden waren (Denzlingen, Band 2, S. 163). Erst im Juli 2010 wurde Dr. Rehm auf einen Antrag aus den Reihen der Bürgerschaft hin die Ehrenbürgerwürde durch einen Gemeinderatsbeschluss aberkannt.
Aufmarsch der Denzlinger Sturmabteilung (SA) in der Adolf Hitler-Straße (heute wieder: Hauptstraße) am
1. Mai 1938
Auch die Denzlinger Vereine, beispielsweise der Männergesangverein (s. Protokollbuch), wurden „gleichgeschaltet“ und von parteitreuen „Vereinsführern“ statt von Vorständen geleitet. Wenn sich Widerstand regte – etwa gegen die Absetzung der Bürgermeisters Leimenstoll oder gegen den von der Kreisleitung daraufhin eingesetzten Bürgermeister Meier (Denzlingen, Band 2 S. 108-110) – erwies sich dieser als wirkungslos, da der mit Parteimitgliedern besetzte Gemeinderat geschlossen hinter Meier stand. Am 7. Dezember 1935 verfügte das Bezirksamt Emmendingen offiziell Meiers Ernennung zum Bürgermeister. Als Vertreter der „Glaubensbewegung Deutsche Christen. Gau Baden“ gehört er auch dem ev. Kirchengemeinderat an.
Der BDM (Bund Deutscher Mädel, weiblicher Zweig der Hitlerjugend) beim Ernte-Dank-Umzug in Denzlingen)
Als der Denzlinger Kommunist Friedrich Franz schon anfangs der Dreißiger Jahre verhaftet und der SPD-Bürgermeister Leimenstoll abgesetzt wurde, als man den „asozialen“ Mitbürger Jakob Bühler und die Tochter des „Hirschen“-Wirts, Anna Bassinger, als „Zeugin Jehovas“ verhaftete, ins Gefängnis brachte und später im Konzentrationslager ermordete, nahm die Dorfgemeinschaft das hin und stellte keine Nachfragen (Denzlingen, Band 2, S. 102-116).
Kundgebung in der NS-Zeit am ehemaligen Krieger-Denkmal auf dem „Robert-Wagner-Platz“ (zwischen dem alten Rathaus, dem Schulhaus und ev. Pfarramt)
Quellen / CopyrightsStatistisches Landesamt Baden-WürttembergGemeindearchiv Denzlingen: DA-DE 1A-727, Rechtsstreit Bürgermeister Karl Leimenstoll: 1A-214, Gemeinderatsprotokolle1B-237Vereinsarchiv Concordia-Chöre Denzlingen, Protokollbuch 1929-1949Dieter Geuenich – Dieter Ohmberger, Denzlingen,
Band 2: Von Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges (Denzlingen 2009) S. 102-122
Autoren dieses ArtikelsDietrich Elchlepp / Dieter Ohmberger
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